Texte

Das Abstrakte als konkrete Form

Köpfe, gleichsam losgelöst, im Raum verortet, Figuren und Torsi wie Archetypen aus der Unterwelt kommend, Tierschädel und Gesteinsformationen nicht als Abbildung, sondern als Selbstfindung.

Das grafische Werk Wolfgang Hemelmayrs ist keine „leichte Kost“, bietet keinen einfachen Zugang, verschließt sich oberflächlicher Einordnung und ist geprägt von einer stark analytischen Arbeitsweise und einer ihr eigenen Ästhetik der Stärke, Tiefe und inneren Ruhe. Es ist grob vereinfacht ein Drei-schritt, der Hemelmayrs Arbeiten entstehen lässt. Denken — Sehen — Zeichnen, um diese drei Begriffe, um diese Arbeitsphasen geht es beim Tun des Künstlers, wobei ich das Denken bewusst an den Anfang dieser Trias gestellt habe. So sehr das Sehen auch im Zentrum bildnerischer Arbeit steht, so sehr gehen Hemelmayrs Arbeiten, seinen Skizzen, seinen Zeichnungen und vor allem seinen Kaltnadelradierungen die Gedanken voraus. Noch bevor ein Motiv im Sehen erfasst wird oder die Arbeit überhaupt losgelöst von konkreten Motiven passiert, wird das Bild gedacht, zwingen Gedanken zum Beginn einer Zeichnung, führen Gedanken den Arbeitsprozess und formen die Gedanken schließlich das entstehende Bild. Da wird dann auch sofort klar, dass dabei nicht leicht oder gar leichtfertig gearbeitet wird, da passieren keine formellen Spielereien, hier entsteht keine routinierte Renommee-Kunst, so quasi aus dem Handgelenk geschüttelt, hier wird nicht an der Oberfläche gekratzt — sondern im wahrsten Sinn des Wortes tief gepflügt. Man erkennt diese besondere Eigenart Hemelmayrs schon an seinen Steinbruch-Zeichnungen. Wie ein Schöpfer oder auch wie ein Handwerker, Chirurg oder Bauer bildet Hemelmayr nicht ab, sondern er baut, sät und erntet Neues. Er findet nicht, sondern ringt, schneidet, spaltet, hackt und pflügt sich in seine eigene Welt aus Gedachtem und Gesehenem. Er gliedert um, er gruppiert um, er setzt eigene Gewichte aus Schwarz und Weiß, aus Linie und Fläche und schafft künstlerische Objekte in neuen Räumen und Bezügen. Diese sehr analytische, forschende Arbeitsweise, mit der er an seine Zeichnungen herangeht, setzt sich auch in seinen Kaltnadelradierungen fort, ja steigert sich noch deutlich.

Die Technik der Kaltnadelradierung hat Hemelmayr für sich im Lauf der Jahre intensiv genutzt und weiterentwickelt. Er setzt die Kaltnadelradierung ein, nicht um Zeichnungen zu vervielfältigen oder um besondere Effekte, die der Tiefdruck eben ermöglicht, zu erzielen, sondern weil ihn seine Bilder zwingen, das Arbeiten an der Oberfläche zu verlassen und dafür mehr und mehr in die Tiefe hineinzuarbeiten. Dabei gibt es durchaus Berührungen auch zum plastischen Werk des Künstlers: Sein Gespür für die dritte Dimension, für den Raum, für Höhen und Tiefen, aber auch sein Bedürfnis, im Arbeitsprozess Vieles zu verändern, zu verarbeiten, Zeichnungen und einzelne Aspekte wieder zum Verschwinden zu bringen, um Neues im schon gestalteten Kontext zuzulassen — das alles erlaubt ihm die Kaltnadelradierung, an die er sowohl zeichnerisch (im Lineament), malerisch (durch enges Strichgeflecht entstehende Flächen) und plastisch (durch die Arbeit mit Stichel, Radiernadel und Schabeisen auf der Platte) „herangeht“. Diese Radierungen, deren Platten so oft und so tief (manchmal bis zur Vernichtung) überarbeitet sind, zeigen deutlich, welch harter zielgerichteter Arbeitsprozess da vor sich geht. Hier ringt ein Künstler mit seinem Werkzeug, hier kämpft der Zeichner um ein Ideal. Hemelmayr sucht kein perfektes Abbild, versucht nicht einen Entwurf bestens umzusetzen, vielmehr ist er wie eine Archäologe dabei, einen Archetypus, eine allgemein gültige Form zu finden, sie im Raum aufzuspüren und aus der Platte herauszuschälen — sie in Zustandsdrucken festzuhalten, bevor sie sich wieder verflüchtigt und neuen Kompositionen und Formen Platz macht.

Wolfgang Hemelmayr arbeitet so seit seinen frühesten Tagen als freiberuflicher Künstler — mit unglaublicher Konsequenz, ja Hartnäckigkeit verfolgt er seine Themen und Bildsujets. Konsequenz, Hartnäckigkeit, Kontinuität charakterisieren seine Arbeitsweise, ebenso wie ihn beständiges Suchen und Versuchen einerseits und Selbstkontrolle und Rückbindung an die klassische Zeichnung — Aktzeichnung — prägt.

Es ist eine seltsame Ästhetik, die aus seinen Arbeiten fließt — keine Ästhetik im traditionellen Sinne eines Harmonischen und Schönen — sondern hier geht es um eine Ästhetik einer neuen Schärfe des Geistes — einer Ästhetik, die die Wirklichkeit als unversöhnliche, antagonistische, zerrissene — im Gegensatz zur uns erscheinenden Wirklichkeit — darzustellen versucht: Wie Erinnyen, Nornen oder verlorene Seelen stehen seine Figuren in den Arbeiten miteinander verbunden in ihren Posen und Beziehungen zueinander und zum Raum. Die Köpfe haben sich schon längst von den Körpern gelöst und verselbstständigt; sie sind nicht grässlich oder abgeschnitten wie die Köpfe von Opfern, sondern als freie Gefäße des Geistigen einer fast überirdischen Welt erzeugen sie Spannung und bannen unseren Blick.

Wolfgang Hemelmayr, der Plastiker, der Maler, der Grafiker geht seit vielen Jahren konsequent seinen Weg — einen Weg, der vom Konkreten, von der Natur zur Abstraktion zu führen scheint. Zu einer Abstraktion im Geiste, zu einer Abstraktion, die sich immer der konkreten Form bedient.

–Reinhard Mattes

Über den Stellenwert der Zeichnung

In der Renaissance war die Zeichnung von ungeheurem und autonomen Stellenwert, dann war sie lange Kusine zweiten Grades der Malerei. Und nun, wo die Kunstformen so diffus sind, wo sie Theaterperformances, Sound-Piece, Video, Malerei oder eben Zeichnung sein können, da wird die Zeichnung auf die eine oder andere Weise zu einem Protokoll des Denkens, das hinter all diesen künstlerischen Prozessen steht.

–William Kentridge

Text zu den Radierungen

Aufgrund meiner doch sehr intensiv gearteten zeichnerischen Vorgehensweise, dem immer wieder Überarbeiten ganzer Bereiche eines Blattes, des Auslöschens, dem Weg–radieren ganzer Bildpartien von Körpern und Köpfen, dem Setzen und Versetzen — und der Neupositionierung des Darzustellenden auf der Fläche, bin ich über die Zeichnung einen weiteren Schritt hin zur Radierung gegangen, die auf Grund des Materials der zu bezeichnenden, zu bearbeitenden Druckplatte ( meist Zink oder Kupferplatte ) ein stärkeres zeichnerisches Vorgehen in die Tiefe des Bildträgers/ Druckplatte erfordert und auch ermöglicht. Auch hier vielleicht – noch stärker als in den Zeichnungen – dominiert ein langatmiges zeichnerisches Vorgehen, welches von der Materialität, Härte und Sperrigkeit der zu bearbeitenden Druckplatte bestimmt wird – das Herausschälen einer Form.

Es ist ein Setzen, ein Versetzen, eine Korrektur, ein Neuanfang. Strichbündel schichten sich übereinander, eröffnen neue Schwärzen, neue Räume. Die Tiefen und die Sattheit der Schwärzen, das feine lineare Geflecht, aus dem sich die Körper und Köpfe bilden, ergeben diesen speziellen Charakter. Die Radierung, das Tiefdruckverfahren, scheint mir eine weitere Möglichkeit und in manchen Fällen sogar eine Steigerungsform der zeichnerischen Möglichkeiten zu sein: Hier der ganz spezifische Charakter der Linie einer Kaltnadelradierung oder der Strichätzung mit all ihren Variationsmöglichkeiten. Ich verwende diese charakteristischen Eigenschaften der Radierung nicht als Selbstzweck im Lineament. Meine zeichnerischen Bemühungen unterliegen meist ausschließlich einem Formfindungsprozess — eben in den darzustellenden Körpern und Köpfen. Mich interessiert mehr dieses charakteristische Element an der Radierung, weniger die vielfache Reproduzierbarkeit von möglichst gleichförmigen Drucken. Wobei die technisch gediegene Handhabung des Druckverfahrens überhaupt erst die Basis eines solchen radiertechnisch wie drucktechnischen Unterfangens darstellt.

Mich interessiert hier in erster Linie die Prozesshaftigkeit in der Entwicklung einer Radierplatte, eines Bildwerkes. Die von mir selbst angefertigten Eigendrucke dokumentieren eine schrittweise formale Entwicklung, aber sie dokumentieren auch deren Verwerfung im Verlauf der sich entwickelnden Stadien. Ich sehe diese Arbeiten als künstlerische Artefakte einer gezeichneten und radierten Zustandsbedingtheit, die parallel zum eigentlichen “ wirklichen Leben ” verlaufen. Köpfe und Körper entstehen, definieren sich im Raum, tauchen auf und verschwinden. Auf der Radierplatte werden sie ausgelöscht, überarbeitet und abgeschabt. In den Zustandsdrucken bleiben sie dokumentiert, erhalten. Wichtig ist mir die plastische Intensität und Präsenz der gezeichneten Köpfe und Körper, sowie das Bestehen im Nebeneinander.

–Wolfgang Hemelmayr